Und sonst so

Check your privileges, oder: Wie ich einmal zwei Buchstaben in meiner Twitter-Bio ergänzte und nichts passierte

Ein Regenbogen, der mit bunter Kreide auf Asphalt gemalt wurde

My computer thinks I’m gay
Placebo, “Too many friends”

Anfang 2020, noch vor Corona, ergänzte in meiner Twitter-Biographie die zwei Buchstaben “bi”, gefolgt von einer Regenbogenflagge. Da ich vorher mehrere Wochen darüber nachgedacht und Für-und-Wieder abgewogen hatte, war es ein durchaus aufregender Schritt für mich – und so war es dann fast enttäuschend, dass im Folgenden genau gar nichts passierte (außer einer DM von einem mir unbekannten Menschen mit der Frage, ob ich aus Bielefeld komme, die möglicherweise eine Reaktion darauf war).

Dass ich bisexuell bin, war mir klar, seit ich begann, andere Menschen attraktiv zu finden. Es hatte für mich auch immer eine gewisse Selbstverständlichkeit, denn ich fühle mich zu Menschen hingezogen und nicht zu ihrem Geschlecht. Ich finde es eher merkwürdig, dass es nicht allen Menschen so geht, aber hey, jede:r Jeck:in ist anders. Relativ bald nahm ich aber natürlich auch die ganzen Fehlwahrnehmungen, Vorurteile und Probleme wahr, die mit Abweichungen von der hetero-normativen Regel generell und mit dieser sexuellen Orientierung (auch ein merkwürdiger Begriff) im Speziellen verbunden sind. Diese Punkte sind hier sehr gut beschrieben: https://libertine-mag.com/events/linkpool/das-b-in-lgbtqi-bye-bye-mysterium/.

Worum es mir an dieser Stelle aber eigentlich geht, ist die Leichtigkeit, mit der ich trotz aller Grübelei dieses “Coming-Out” begehen konnte. Längere Zeit hielt mich von einem deutlichen Bekenntnis auf Twitter oder auch hier im Blog – neben den auch im oben verlinkten Text angesprochenen Zweifeln, “queer” genug für ein Coming-Out zu sein – der Gedanke ab, dass es für meine Arbeit irrelevant und nun mal etwas sehr Privates ist. Nun ja, abgesehen davon, dass mein Profil auf Twitter und in anderen sozialen Medien alles andere als rein professionell ist, war für mich der entscheidende Punkt auch eine Auseinandersetzung mit meinen Privilegien.

Ich wusste, dass ich durch ein solches Coming-Out nicht meinen Job oder meine Wohnung verlieren würde, mir keine Strafverfolgung droht und mich auch sonst vermutlich keine negativen Folgen erwarten. Dadurch, dass ich mich oute, wird aber natürlich auch niemand gerettet, der aufgrund ihrer oder seiner Art zu lieben und Sex zu haben anderswo verfolgt wird. Vielleicht kann ich aber mit meinem Schritt zu einem klitzekleinen Bisschen mehr Sichtbarkeit beitragen, denn auch in Deutschland gibt es genug Menschen, die aus guten Gründen nicht offen mit ihrer sexuellen Orientierung umgehen, während ich in der luxuriösen Position bin, dies ohne negative Konsequenzen tun zu können. So war es dann auch durchaus ein bisschen bewegend, als ich auch in der Bibliothekswesen-Community auf Discord erwähnte, dass ich queer bin (immer noch mit dem nagenden Zweifel, ob ich das überhaupt von mir behaupten darf) und etliche Nutzer:innen positiv reagierten. Ja, es ist etwas sehr Privates, aber solange sich Menschen dafür rechtfertigen müssen, werde ich so offensiv damit umgehen, wie ich kann.

PS. Es gibt natürlich für eine weiße Akademikerin, die aus einem Beamtenhaushalt stammt und in Westdeutschland lebt, noch etliche Privilegien mehr, die sich checken ließen. Dazu vielleicht mal an anderer Stelle.

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Photo by Alex Jackman on Unsplash.